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„Zeitgeist ist ein Riss in der Matrix“

Zeitgeist-Forscherin Kirstine Fratz spricht auf dem Bits & Pretzels Festival in München. Im Interview verrät sie, wie Zeitgeist kollektive Sehnsüchte auslöst und was das für die Transformation der Mobilität bedeutet.

Text: Nadia Riaz-Ahmed - Foto: privat, Zveistudios, Unsplash Lesezeit: 4 min

Kirstine Fratz steht in einem roten Kleid auf der Bühne.
Kirstine Fratz ist Deutschlands bekannteste Zeitgeist-Expertin. Als internationale Keynote-Speakerin spricht sie auf Bühnen über die Zeitgeist-Dynamik in allen Lebensbereichen.

Frau Fratz, was bedeutet Zeitgeist eigentlich?

Ich habe im Laufe meiner Forschung folgende Definition entwickelt: Zeitgeist ist ein temporäres Versprechen für ein gelingendes Leben. Er flüstert uns Menschen immer wieder zu: „Da geht noch mehr, das geht auch anders.“ Der Zeitgeist zeigt uns also, wie unser Leben eigentlich auch noch aussehen könnte, und lenkt unsere Gesellschaft so in neue Richtungen. Richtungen, die so gar nicht geplant und bislang vorstellbar waren. Ohne Zeitgeist – wenn wir etwa an einer ganz bestimmten kulturellen Form festhalten – würden wir keine neuen Perspektiven bekommen.

 

Bis vor einigen Jahren war der Begriff nicht allzu geläufig. Ist er ein neues Phänomen, gar ein Modewort?

Zeitgeist hat durch die vielen großen und kleinen Krisen in den vergangenen Jahren ein neues Interesse und Resonanz erhalten. Immer mehr Menschen überlegen, was eigentlich das größere Prinzip hinter unserem gesellschaftlichen Wandel ist und was kulturelle Evolution wirklich vorantreibt. Ich komme ursprünglich aus der Trendforschung und habe schon damals geahnt, dass es uns eines Tages sicher nicht mehr reichen wird, einfach nur Trends hinterherzulaufen.

 

Was ist der Unterschied zwischen Trend und Zeitgeist?

Trends sind die Kinder des Zeitgeists. Der Zeitgeist bietet eine neue Version vom idealen Leben an und teilt uns die mal laut, mal leise mit. Dann verankern sich diese Botschaften in der Gesellschaft und tauchen in Form von vielen kleinen Trends in verschiedenen Lebensbereichen auf – sei es in der Ernährung, im Lifestyle, in der Arbeit oder Gesundheit. Das kann eine neue Geschmacksrichtung bei Schokolade sein oder auch dass Kindergärten ihren Namen etwa von „Kleine Strolche“ zu „The Academy“ ändern. Im Gegensatz zu Trends gibt uns der Zeitgeist einen Zugang zum kulturellen Unterbewusstsein und bildet die Basis für kulturelle Evolution.

„Zeitgeist wird immer dann sichtbar, wenn unsere bekannten gesellschaftlichen Vorstellungen aufhören zu funktionieren.“

Kirstine Fratz

Portrait-Bild von Kirstine Fratz.

Wie schaffen Sie es, dem gesellschaftlichen Wandel auf der Spur zu bleiben?
Zeitgeist-Forschung hat sehr viel mit der Wahrnehmung in der Gegenwart zu tun. Zeitgeist wird immer dann sichtbar, wenn unsere bekannten gesellschaftlichen Vorstellungen aufhören zu funktionieren. Ich nenne das den Riss in der Matrix. Das ist der Moment, wo jemand merkt: Hier kommt eine neue Auffassung von Leben auf. Also wenn immer mehr Menschen eine kulturelle Aufbruchstimmung spüren. Ich bin immer auf der Suche nach diesen Rissen. Dann schaue ich, welche Transformation sich von dort aus abzeichnet.

Haben Sie ein Beispiel?
Im Moment nehme ich verstärkt wahr, dass der Human-Centricity-Ansatz das lineare Profitdenken in Unternehmen ablöst. Man sieht sich nicht mehr als zukunftsfähig an, wenn man den Menschen nicht ins Zentrum seiner Überlegungen stellt. Das ist ein enormer Wandel. Es steckt eine Menge Zeitgeist-Arbeit in dem Übergang vom linearen Profitdenken hin zu „Wir stellen Mensch und Umwelt mehr und mehr in den Mittelpunkt unseres wirtschaftlichen Handelns“. Ich sage nicht, dass das schon alles wunderbar funktioniert, aber das Denken, die Erwartung und der Druck, es zu tun, sind da, und das ist Zeitgeist at work. 

Portrait-Bild von Kirstine Fratz.
Kirstine Fratz berät namhafte Marken und Unternehmen, lehrt an Hochschulen und ist Autorin des Buchs „Das Buch vom Zeitgeist – Und wie er uns vorantreibt“.

Audi x Bits & Pretzels Festival

Audi ist auch dieses Jahr wieder aktiver Teil beim Bits & Pretzels Festival in München. Auf der dreitägigen Konferenz vom 25. bis zum 27. September kommt der Konzern mit internationalen Expert_innen und Gründer_innen in den Austausch. Unter anderem diskutiert Henrik Wenders, Head of Brand AUDI AG, mit Zeitgeist-Forscherin Kirstine Fratz über die progressive Premium-Mobilität der Zukunft.

Wie aber kann ein Unternehmen das Potenzial von Zeitgeist ausschöpfen? 
Für Unternehmen ist es immer wieder eine Herausforderung. Denn es existiert bereits eine funktionierende Struktur, und das Neue dazu einzuladen, birgt Potenzial, aber natürlich auch Risiken. Wer hier helfen kann, sind sogenannte Spirit-Maker. Die gibt es in jedem Unternehmen. Das sind Menschen mit einem besonderen Mindset, die die Risse in der Matrix erkennen und spannende Ideen haben, wie man diese im Unternehmen anwenden kann. Unternehmen müssen mit diesen Mitarbeiter_innen in einen stärkeren Diskurs gehen und tatsächlich kulturelle Evolution fördern. Das ist viel nachhaltiger und birgt mehr Sinn- und Glücksversprechen, als sich nur Trends anzupassen.

 

Was bedeutet Zeitgeist für progressives Denken?
Alles. Zeitgeist inspiriert progressives Denken. Zeitgeist schafft die Perspektive, um progressive Gefühle zu formen. Zeitgeist gibt auch Rückenwind, um progressives Denken in die Umsetzung zu bringen. 

 

Inwiefern beeinflusst der Zeitgeist die Transformation von Mobilität?
Über die Sehnsüchte der Menschen. In Zukunft wird das Angebot in der Mobilität deutlich differenzierter sein. Elektromobilität ist meiner Meinung nach ein innovatives Experiment, aber sicherlich nicht der Endpunkt. Da ist es wichtig, dranzubleiben und den Ansatz weiterzudenken. Mir fällt auf, dass unsere Gesellschaft in der Mobilität viel Assistenz nachfragt. Und schon jetzt kümmert sich Mobilität mehr um uns als wir um sie – und da müssen wir ansetzen. Faktoren wie künstliche Intelligenz und digitale Vernetzung werden immer wichtiger. Vielleicht wird Mobilität mehr zu einem Service als zu einem Produkt, das man kauft. Der Serviceansatz für Mensch und Umwelt in der Mobilität wird meiner Meinung nach noch erstaunliche Innovationen hervorbringen.

„Kulturelle Evolution zu fördern ist nachhaltiger, als sich nur Trends anzupassen.“

Kirstine Fratz

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¹Bei den genannten bzw. gezeigten Fahrzeugen handelt es sich um Konzeptfahrzeuge, die nicht als Serienfahrzeuge verfügbar sind.

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